Ein Großteil der rechtsextremen Szene liegt jenseits rechtsextremer Organisationen oder Parteien. Kneipenabende, Tattoostudios, Bandproberäume und Konzerte, Geschäfte und Imbisse sind wichtige Bestandteile rechtsextrem(orientiert)er Strukturen und (Sub-)Kultur.
In ihrer Funktion als Anlauf- und Treffpunkte für die rechtsextreme Szene tragen sie wesentlich zur Herausbildung von Orten bei, an denen sich rechtsextreme Strukturen etablieren können. Wo das gelingt und/oder bestehende Strukturen mitgenutzt werden, verändert sich auch der Sozialraum: Wichtige Aktivist/innen der Szene wohnen hier, es gibt Kneipen und Geschäfte, die von Rechtsextremen besucht werden, das Wahlverhalten ändert sich, usw. So kommt es auf schleichende Weise zur Dominanz eines rechtsextremen Lifestyles (Kleidung, Musik, Sprüche, Haltungen).
Die Etablierung von Treffpunkten kann sich spontan und eher zufällig ergeben oder Ergebnis der Raumgreifungsstrategie der rechtsextremen Szene sein. Ziel dieser Strategie ist es, sich in gewöhnlichen Sozialräumen zunächst als scheinbar normale Klientel zu verankern, um darüber neue Wohn- und Aktionsräume für die Szene zu erschließen.
Im Gegensatz zu temporären, teilweise jahreszeitlich bedingten Treffpunkten, etwa in Parks oder auf öffentlichen Plätzen, bieten Kneipen, Läden, Tattoostudios eine dauerhafte Basis. Sie sind daher für das Funktionieren und die Ausweitung rechtsextremer Strukturen ungleich wichtiger. Sie sind diejenigen Orte, die auf personelle, materielle, finanzielle und organisatorische Weise den Fortbestand der rechtsextremen Szene sichern.
Wichtig für den Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur ist vor allem, die Bedeutung der Kommune für den Rechtsextremismus überhaupt als solche zu erkennen – und damit auch die Bedeutung des eigenen kommunalpolitischen Handelns. Für das entschlossene Entgegentreten sind drei Schritte notwendig.
Die beiden wichtigsten Akteure dafür sind die Zivilgesellschaft in all ihren Formen sowie die Kommunalpolitik und -verwaltung.
Angesichts der bundesweit zunehmenden Etablierung von Thor Steinar-Läden sowie rechtsextremer Infrastruktur im öffentlichen Raum arbeitet die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus seit Jahren mit engagierten Menschen in den verschiedenen Bezirken Berlins an wirksamen Handlungsstrategien.
Die Erfahrungen der MBR zeigen: Über das Gelingen oder Scheitern rechtsextremer Raumgreifungsstrategien wird vor allem in den Kommunen entschieden. Ein enges Zusammenwirken von Hauseigentümer/innen oder Vermieter/innen, Zivilgesellschaft und Politik/Verwaltung sowie eine strikte Abgrenzung dieser demokratischen Kräfte gegenüber der rechtsextremen Szene sind dafür wichtige Erfolgskriterien.
Handlungsräume von Rechtsextremen lassen sich dadurch einschränken, dass Hauseigentümer/innen oder Vermieter/innen alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen zur Verfügung stehen. Kündigungen und Räumungsklagen – z.B. wegen “arglistiger Täuschung” bezüglich des angebotenen Sortiments – können dabei wichtige Handlungsschritte sein. Juristische Auseinandersetzungen sind jedoch oft sehr langwierig, nicht immer von unmittelbarem Erfolg gekrönt und können deshalb die politische Auseinandersetzung nur ergänzen, nicht ersetzen. Auch sollten auf mietrechtlicher Ebene präventive Maßnahmen ausgelotet werden. Eine Möglichkeit, die Ansiedlung rechtsextremer Infrastruktur bereits im Vorfeld zu erschweren, liegt in der flächendeckenden Aufnahme von speziellen Klauseln für Gewerbemietverträge, durch die sich Mieter/innen von Ladenflächen dazu verpflichten, im Laden keine Produkte, Modemarken oder Accessoires zu verkaufen, die in der Öffentlichkeit mit einem Bezug zur rechtsextremen Szene wahrgenommen werden.
Auch für Kneipenbetreiber/innen und Wirt/innen empfiehlt sich die Anwendung von Mietverträgen, die die Durchführung von Veranstaltungen mit rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Inhalten untersagen. Somit kann verhindert werden, dass Rechtsextreme z.B. Stammtische abhalten. Politik und Verwaltung sollten darauf hinarbeiten, dass dies in Berlin gängige (Vermietungs-)Praxis wird.
Für diesen Prozess können Politik und Verwaltung Impulse setzen und Bürger/innen durch eine eindeutige Positionierung zum Engagement ermutigen. Politik und Verwaltung können Briefe an Hauseigentümer/innen verfassen, Runde Tische zum Thema einberufen, Schirmherrschaften für Feste oder Veranstaltungen übernehmen und unbürokratisch zivilgesellschaftliche Projekte unterstützen.
Zudem empfiehlt es sich im Hinblick auf den Schutz von potenziellen Opfern von Gewalt, Gespräche zu Problemlagen im Kiez mit der Polizei zu führen, aus denen konkrete Sicherheitsvereinbarungen resultieren können.
Nicht zuletzt sind es zivilgesellschaftliche Akteur/innen vor Ort, die durch öffentlichen Protest wie Demonstrationen, Informationscontainer oder Flugblatt-Aktionen Anwohner/innen für das Thema sensibilisieren und zur Beteiligung vor Ort motivieren. Zivilgesellschaftliches Engagement kann somit entscheidend zur demokratischen Besetzung des Sozialraums beitragen.
Materialien wie ein Muster-Raumnutzungsvertrag zur Anmietung privater oder öffentlich-rechtlicher Räume sowie spezielle Klauseln für Gewerbemietverträge können bei der MBR angefordert werden.
Eine Materialsammlung aller Broschüren zum Thema Anietungsversuche finden Sie hier.
Hintergrundpapier: Rechtsextreme Erlebniswelten und Infrastruktur in Berlin. Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremen Raumgreifungsstrategien
Hintergrundpapier: Handlungs-Räume. Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremen Anmietungsversuchen öffentlich-rechtlicher Räume