Umdeuten, Zuspitzen, rassistisch Instrumentalisieren – die Rechtspopulist_innen und die Frauenrechte

In den vergangenen Monaten haben rechtspopulistische Parteien, Gruppen, Formationen und Organisationen zunehmend das Thema Frauenrechte für sich entdeckt. Dabei verschiebt sich der Fokus: Nicht die Rechte der Frau stehen im Vordergrund, sondern die angeblich durch die Geflüchteten „eingewanderte“ Aggression gegen Frauen. Durch Anträge und Debattenbeiträge versuchen Teile der AfD, dies auch in den parlamentarischen Diskurs einzubringen. Ihre Strategie und mögliche Reaktionen werden im folgenden Text beschrieben.2018 fanden bereits zwei Aufmärsche unter dem Titel „Frauenmarsch – Wir sind kein Freiwild! – Nirgendwo!“ statt, die von Leyla Bilge organisiert wurden, AfD Mitglied und Mitarbeiterin des AfD Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme. Sie fiel in der Vergangenheit bereits mehrfach durch die Teilnahme an rechten Veranstaltungen auf. [1]

Im Aufruf zur Demonstration am 17.02.2018 hieß es: „Lasst uns gemeinsam auf die Straße gehen, um für unser Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung zu kämpfen! Die Freiheit der Frau ist nicht verhandelbar!“ Die Versammlung sollte den Anschein eines zivilgesellschaftlichen Protestes gegen Gewalt an Frauen wecken. Das Hauptthema waren aber nicht Frauenrechte – wie in der Abschlussrede der Veranstalterin deutlich wurde. Frauen kamen nur vor als Opfer von Geflüchteten, die „aus den archaischen Verbindungen, aus diesen archaischen Kulturen nach Deutschland kommen“ und „Frauenhasser, frauenverachtende Männer“[2] seien. Ähnliche Aussagen fanden sich auch auf diversen Transparenten und Schildern.[3] Zudem nahmen mehrere bekannte Rechtsextreme teil, wie etwa Funktionäre der NPD und der Organisator von Pegida-Dresden sowie Aktivist_innen der „Identitären Bewegung“. Auch die „Identitäre Bewegung“ versucht derzeit mit ihrer Social Media-Kampagne „#120 db“ (120 Dezibel), sexualisierte Gewalt auf ein Problem zu reduzieren, das mit den Geflüchteten gleichsam „importiert“ worden sei.

Als Partei nutzt die AfD verschiedene ihr zur Verfügung stehende Mittel, um dieses Thema auch in den parlamentarischen Diskurs zu tragen. Nach der erfolgreichen Blockade ihres „Frauenmarschs“ durch Gegendemonstrant_innen beantragte sie dazu am 22.02.2018 eine aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus. Jeanette Auricht (AfD), die als erste Rednerin sprach, griff den Tenor der Versammlung wieder auf. Sie behauptete, dass sich die Sicherheit für Frauen in Deutschland seit September 2015 drastisch verschlechtert habe, ohne Belege dafür zu nennen. Die Ursache dafür will sie in der „massenhaften illegalen Einwanderung“ [4] gefunden haben. Hier zeigt sich, dass das Thema Frauenrechte nur in Verbindung mit den Themen Migration und Sicherheit eine Rolle spielt. Indem sexuelle Übergriffe auf Frauen als ein externes Problem von „Fremden“ dargestellt werden, wird es möglich, ebenso einfache wie autoritäre Lösungen anzubieten. Es geht nicht um das Einfordern von Rechten für Frauen, sondern darum, bestimmte Verhaltensweisen pauschal Menschengruppen, die als nicht „deutsch“ dargestellt werden, zuzuschreiben. So werden Muslim_innen und Schwarze Menschen rassistisch stigmatisiert und abgewertet.

Instrumentalisierung von Frauenrechten durch provokante Anträge

Die aktuelle Stunde ist nicht die einzige Gelegenheit für die AfD im Abgeordnetenhaus, Frauenrechte für eine Spaltung der Gesellschaft entlang ethnischer, kultureller und religiöser Linien zu nutzen. Ein weiteres Beispiel ist die Debatte um das Verbot der Vollverschleierung. Dazu brachte die AfD Fraktion am 15.11.2016, kurz nach der Wahl, einen Antrag im Abgeordnetenhaus ein, indem sie den Senat dazu aufforderte, ein Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung zu erarbeiten.[5]

Hieß es im ersten Satz der Begründung noch, es ginge um den „Schutz des Individual-Freiheitsrechts der muslimischen Frau“, wurden im Folgenden gängige Stereotype gegen Muslime bedient. Der Gesichtsschleier wurde nicht als religiöses Symbol gewertet, sondern vielmehr als Ausdruck einer Abgrenzung von „unserer freiheitlichen westlichen Gesellschaft, was von vielen muslimischen Kräften aus ideologischen Gründen gewünscht“ würde. Er „signalisiert den Wunsch nach Abgrenzung, den Wunsch, an einer freien und offenen Gesellschaft nicht teilhaben zu wollen“, so die AfD. Er wird also in ein rein politisches Symbol umgedeutet.

Weiter begründete die AfD die Forderung nach einem Verbot damit, dass Burka und Niqab „die Uniform des Salafismus und Islamismus“ seien und durch sie Videoüberwachung wertlos und terroristische Vorhaben begünstig würden. Die AfD versucht sich hier als Beschützerin des „deutschen Volkes“ zu inszenieren, indem sie die diffuse Angst vor terroristischen Anschlägen als Argument für ein Verbot heranzieht. Ein an sich frauenrechtliches Thema wird mit dem Thema „Innere Sicherheit“ verknüpft. Eine Gleichsetzung von Islam und Muslim_innen mit Terrorismus macht eine ganze Bevölkerungsgruppe für ein Problem verantwortlich und schürt so rassistische Ressentiments gegen diese.

Dies zu entlarven, ist eine wichtige Aufgabe der Politik und zivilgesellschaftlicher Akteur_innen. In der Debatte zu dem Antrag haben Politiker_innen der verschiedenen Parteien sich auf unterschiedliche Weise positioniert:

Ein Redner der FDP machte auf die Strategie aufmerksam:

„Bei mir entsteht der Eindruck, dass es sich für die einbringende Fraktion um einen Schaufensterantrag handelt. Dies erkennen Sie daran, dass er nicht nur kurz, sondern auch zu knapp gehalten wurde und zusätzlich keinerlei inhaltliche Gestaltung aufweist.“ [6]

Eine Rednerin der GRÜNEN hob die Intention der Antragstellerin hervor:

„In der Begründung zu dem Gesetz wird ausgeführt, dass das angestrebte Ziel dem Individualfreiheitsrecht der muslimischen Frau dienen solle. […] Als muslimische Frau brauche ich diesen Schutz nicht, und ehrlich gesagt nehme ich Ihnen das noch nicht einmal ab.“ [7]

Inhalt und Wirkung des Antrags wurde von einem Abgeordneten der Partei DIE LINKE benannt:

„Erstens: Dieser Antrag der AfD ist verfassungswidrig. Zweitens: Dieser Antrag ist rassistisch und intolerant. Drittens: Dieser Antrag befeuert religiösen Fundamentalismus und gefährdet die Offenheit unserer liberalen Demokratie.“ [8]

Auch die Rednerin der SPD kritisierte und benannte die offensichtliche Intention des Antrags:

„Man könnte meinen, dass der Antragsteller eine Obsession für Frauenbekleidung hat. […] Sonst erklärt es sich eben nicht, dass Sie auf Kosten dieser Menschen populistisch Ihr rassistisches Bild vermitteln, dass Sie gesellschaftspolitisch versuchen zu spalten, dass Sie Ihre rechtspopulistische Vorstellung, Ihr menschenverachtendes Gedankengut hier reinbringen wollen.“ [9]

Die gesellschaftliche Relevanz wurde von einem CDU Abgeordneten aufgezeigt:

„Ich rate zu Gelassenheit und Vernunft bei diesem Thema, denn wir müssen konstatieren, dass es sich nicht um ein Thema handelt, das in seiner Dimension momentan die Grundfesten unseres Landes bedroht.“ [10]

 

Derailing: gezieltes Umlenken von Themen [11]

Frauen und Kinderkriegen sind für die Berliner AfD untrennbar verbunden. Bereits im Wahlprogramm machte sie auf die in ihren Augen zu niedrige Geburtenrate bei „deutschen Frauen“ aufmerksam und forderte Familiensplitting, Erleichterung bei den Sozialversicherungsbeiträgen, Berücksichtigung der Erziehungsleistung bei der Rente sowie das Recht, die Kinder auch zu Hause zu betreuen, um Frauen zur Mutterrolle zu animieren. Kurzum, Frauen werden zumeist im Kontext einer nationalistischen bevölkerungspolitischen Agenda thematisiert.

Gesetzesinitiativen oder Anträge zu diesem Thema hat die AfD Fraktion im Abgeordnetenhaus bisher allerdings nicht eingebracht. Stattdessen geht sie auf die Suche nach den Gründen, warum „deutsche Frauen“ so wenige Kinder bekommen, und gelangt zu altbekannten Feindbildern: zu Geflüchteten und Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Diese Ansicht vertrat auch Herbert Mohr (AfD) am 22.03.2018 in seiner Rede in der aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus. Die aktuelle Stunde hatte den Titel „Wenn die Hebammensuche länger dauert als die Schwangerschaft – die Geburtshilfe in Berlin braucht dringend Hilfe!“ und war von der FDP beantragt worden.

Die Ursache für die Überlastung der Hebammen sei, so Herbert Mohr, schnell gefunden: „Berlin wächst in großen Teilen so schnell aufgrund des ungefragten Zuzugs von Zehntausenden von Asylbewerbern, ausgelöst durch Merkels Politik der unkontrollierten Grenzen.“ [12] Die Überlastung würde insbesondere durch die deutlich höhere Geburtenrate afghanischer, irakischer und syrischer Frauen hervorgerufen. Das Aktionsprogramm sei kein Erfolg, weil die eigentlichen Ursachen für die Probleme nicht erkannt und angegangen worden seien.

Auch hier lässt sich wieder die unzulässige Verknüpfung von Frauenrechten mit Migration und Innerer Sicherheit erkennen. Und es offenbart sich noch eine weitere Strategie: Statt durch rassistische Anträge zu provozieren, wird versucht, themenfremde Debatten durch Redebeiträge auf das Thema Asyl und Migration zu lenken. Dadurch sollen sich die nachfolgenden Redner_innen im Versuch der Abgrenzung ebenfalls auf das andere, im Redebeitrag gesetzte, Thema konzentrieren. Der AfD geht es, so lässt sich folgern, nicht um eine sachgerechte Auseinandersetzung, sondern darum, mittels Provokation und Zuspitzung immer wieder das Konzept einer kulturell und ethnisch homogenen Gemeinschaft gegen das Modell einer vielfältigen Gesellschaft in Stellung zu bringen.

In diesem Fall ist die Argumentation ins Leere gelaufen. Nach einem kurzen Statement der nachfolgenden Rednerin („Ich glaube, Sie haben sehr gut gezeigt, warum der gestrige Tag gegen Rassismus sehr aktuell ist und wichtiger denn je“ [13], hat sich die Debatte wieder dem Aktionsprogramm und einer sachorientierten Auseinandersetzung zugewandt. Keine_r der nachfolgenden Redner_innen hat auf die Polemik des AfD Redners reagiert. Gerade im parlamentarischen Alltag kann es eine sinnvolle Form der Auseinandersetzung sein, nicht auf jede Provokation einzugehen, sondern sich nach einer kurzen Positionierung und Zurückweisung der rassistischen Inhalte wieder einer sachorientierten Debatte zuzuwenden.

Die rechtspopulistische Aufladung gesellschaftlicher Debatten

Die Debatte um Asylpolitik hat in den letzten Jahren eine dramatische Verschiebung nach rechts erlebt. Heute ist es kaum noch möglich, über die Themen Integration und Geflüchtete zu sprechen, ohne nicht auch über Innere Sicherheit und Terrorismus sprechen zu müssen. Eine ähnliche Diskursverschiebung versuchen Teile der AfD jetzt in Bezug auf Frauenrechte zu erreichen. Auch dieses Thema soll untrennbar mit Geflüchteten und Sicherheitsfragen verknüpft werden. Das macht es einfacher, eine vermeintliche Lösung anzubieten, und zwar die einzige Lösung, die sie für alle Herausforderungen unserer Zeit stets parat hat: Das Ausgrenzen und Abschieben von Geflüchteten und Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie das Schließen der Grenzen.

Mit dem Thema Frauenrechte haben große Teile der AfD ihre inhaltliche Agenda also nicht erweitert, sondern lediglich bereits bekannte Muster auf ein weiteres Thema übertragen. Weiterhin werden politische Debatten gezielt auf das Thema Asyl und Migration geleitet und sachorientierte Debatten vereitelt. Durch solche Beiträge beteiligt sich die AfD nicht an der Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme. Sie versucht im Gegenteil, Probleme zu konstruieren und zu verschärfen. Durch das Beschwören der immer gleichen angeblichen Verursacher_innen werden die Probleme nicht in ihrer Komplexität betrachtet, sondern auf Menschen mit Migrationshintergrund als vermeintliche Verursacher_innen reduziert. So treibt die AfD die gesellschaftliche Spaltung voran und befeuert rassistische Einstellungen.

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[1] MBR Berlin: MBR-Einschätzung zum „Frauenmarsch“ am 09.06.18. https://www.mbr-berlin.de/aktuelles/mbr-einschaetzung-zum-frauenmarsch-am-09-06-18/?back=%2Faktuelles-news%2F (21.06.2018)
[2] Apabiz: Blockaden stoppen rassistischen „Frauenmarsch“, https://rechtsaussen.berlin/2018/02/blockaden-stoppen-rassistischen-frauenmarsch/ (21.06.2018)
[3] Apabiz: Blockaden stoppen rassistischen „Frauenmarsch“, https://rechtsaussen.berlin/2018/02/blockaden-stoppen-rassistischen-frauenmarsch/ (21.06.2018)
[4] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/22, Seite 2443.
[5] Abgeordnetenhaus Berlin, DS 18/0017 vom 15.11.2016. Antrag der AfD Fraktion Berlin „Verbot der Vollverschleierung“; ähnl. BVV Reinickendorf von Berlin, DS 1031/XX, AfD Fraktion „Kopftuchverbot für Berliner Schülerinnen“.
[6] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/2, Seite 55.
[7] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/2, Seite 54.
[8] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/2, Seite 53.
[9] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/2, Seite 51.
[10] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/2, Seite 52.
[11] Als Derailing wird eine bewusste Provokation bezeichnet, die zum Ziel hat, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken und eine sachorientierte Debatte aus dem Ruder laufen zu lassen.
[12] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/24, Seite 2700.
[13] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenar- und Ausschussdienst, Plenarprotokoll 18/24, Seite 2701.

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Dieser Text wurde am 12.07.2018 an wenigen Stellen redaktionell überarbeitet.

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