Rechtsextremer „Tag der Nation“ am 3. Oktober

UPDATE 02.10.2018
+++Rechtsextreme melden zweite Aufzugsstrecke durch Berlin-Friedrichshain an. Mehrere Konkurrenzveranstaltungen untergraben rechtsextreme Mobilisierung nach Berlin.+++

Zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2018 planen Rechtsextreme erneut einen größeren Aufmarsch in Berlin. Die Gruppe „Wir für Deutschland“ (WfD) ruft seit Monaten für dieses Datum zu einer „Großdemo“ ab 14 Uhr unter dem Motto „Tag der Nation“ auf, die auf dem Europaplatz am Hauptbahnhof beginnen soll. Von dort soll die Strecke über Invalidenstraße, Ackerstraße, Torstraße, Novalisstraße, Tieckstraße, Chausseestraße, Invalidenstraße zurück zum Europaplatz führen.

Angemeldet sind 1000 Teilnehmende. Wie realistisch diese Zahl ist, lässt sich angesichts der Entwicklungen in Chemnitz und Köthen schwer vorhersehen. Ob es den Veranstaltenden gelingt, die Dynamik der aktuellen bundesweiten flüchtlingsfeindlichen Mobilisierungen für ihre Versammlung zu nutzen, scheint derzeit fraglich, ist jedoch nicht auszuschließen. Die Tatsache, dass im Bundesgebiet mindestens fünf Versammlungen mit ähnlicher inhaltlicher Stoßrichtung angekündigt sind, dürfte die Mobilisierung nach Berlin jedoch schwächen.

Wie heute (02.10.) bekannt wurde, ist zudem ein weiterer Aufzug von WfD unter dem Motto „Schwarz Rot Gold ist unsere Fahne“ mit 250 Teilnehmenden für 17.30 Uhr angemeldet. Dieser soll 18 Uhr am Alexanderplatz vor dem Haus des Lehrers beginnen und über die Otto Braun Straße, Karl Marx Allee und Warschauer Straße zum S-Bahnhof Warschauer Straße führen. Vermutlich dient diese Anmeldung als Ausweichoption, sollte der erste Aufmarsch durch Proteste verunmöglicht oder nicht wie geplant durchgeführt werden können. Es bleibt aber ungewiss, ob nicht auch beide Versammlungen durchgeführt werden, trotz einem aus Sicht der Rechtsextremen erfolgreichen Verlauf der ursprünglichen Versammlung. Die Wegstrecke durch einen als linksalternativ wahrgenommenen Ortsteil bietet eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung und mehr Provokationspotential und hat für die rechtsextremen Teilnehmenden vermutlich Eventcharakter. Zudem dürften die Rechtsextremen darauf spekulieren, Gegenproteste an dem Tag mit dieser Anmeldung zu schwächen.

Wegen der in den zu erwartenden teilnehmenden Milieus anhaltend aufgeheizten Stimmung nach Chemnitz und Köthen dürfte eine erhöhte Aggressivität die Aufmärsche prägen. Neu sind solche Versuche, den 3. Oktober von rechtsextremer Seite zu besetzen und an das Erwachen eines neuen (starken) Nationalgefühls zu appellieren nicht, wie mit der Kundgebungsreihe „Tag der Patrioten“ bereits zwischen 2012 und 2014 in Berlin zu beobachten war.

Veranstalter „Wir für Deutschland“

„Wir für Deutschland“ (WfD) ist aus dem Berliner Pegida-Ableger hervorgegangen und wurde 2016 durch die „Merkel muss weg“-Aufmarschreihe bekannt, zu deren ersten Versammlung im März überraschend 3000 Teilnehmende erschienen waren. [1] Nach dem anfänglichen Mobilisierungserfolg verlor die Protestreihe allerdings schnell an Zuspruch. Zuletzt waren im September 2017 nur noch rund 450 Teilnehmende zu verzeichnen. [2] Ende 2017 konstituierte sich WfD als eingetragener Verein. Vorsitzender ist Enrico Stubbe, der zuvor Funktionär der rechtsextremen Splitterpartei „Pro Deutschland“ war und stets als Anmelder der „Merkel muss weg“-Aufmärsche fungierte. Neben Stubbe ist der Brandenburger Kay Hönicke aus Schönewalde (Elbe-Elster) eine der zentralen Figuren von WfD, der auch mehrfach bei anderen rechtsextremen Versammlungen als Redner auftrat. Hönicke fiel 2017 mit einem Facebook-Beitrag auf, in dem der „Hobbyjäger“ [3] ankündigte, „bewaffnete Kampfgruppen gründen zu wollen“. [4] In den letzten Wochen trat er als Redner bei den flüchtlingsfeindlichen Versammlungen in Chemnitz in Erscheinung und warb dort für den Aufmarsch am 3. Oktober in Berlin. Der Mitorganisator der Chemnitzer Aufmärsche Arthur Österle trat in der Vergangenheit auch als Ordner bei WfD-Versammlungen in Berlin auf. [6] Es ist insofern für den 3. Oktober nicht auszuschließen, dass Protagonisten aus Chemnitz und Köthen den Weg nach Berlin auf sich nehmen werden.

Angekündigte Redner_innen

Als Redner_innen sind neben den Organisatoren Stubbe und Hönicke mehrere Vertreter_innen flüchtlingsfeindlicher bzw. rechtsextremer Zusammenschlüsse aus dem Bundesgebiet sowie dem benachbarten Ausland angekündigt. Einige sind bereits von vergangenen WfD-Aufmärschen bekannt, wo neben rassistischen Positionen gegenüber Flüchtlingen und insbesondere Muslimen auch immer wieder antisemitische, verschwörungsideologische und NS-relativierende Inhalte geäußert wurden.

Aus der Schweiz soll Ignaz Bearth sprechen, er ist ehemaliges Mitglied der rechtsextremen, völkisch-nationalistischen „Partei National Orientierter Schweizer“ (PNOS) und war einer der Mitorganisatoren der „Merkel muss weg“-Aufmärsche. Aus Österreich ist Georg Nagel angekündigt, der sich selbst als „Alt-Right Publizist“ bezeichnet und Pegida Österreich zuzurechnen ist. Er sprach bereits mehrfach in Berlin bei „Merkel muss weg“-Aufmärschen, dort bezeichnete er die Kanzlerin u.a. als „der größte Chef-Djihadist“ und der „größte islamische Hassprediger in der Welt“.

Mit Myriam Kern aus Rheinland-Pfalz soll eine der Initiatorinnen des sog. „Frauenbündnis Kandel“ sprechen. Dabei handelt es sich um einen flüchtlingsfeindlichen Zusammenschluss, der einen Mordfall in dem Ort für ihre rassistische Stimmungsmache instrumentalisierte. Kern ist eine ehemalige Landauer AfD-Stadträtin. Dieselbe inhaltliche Stoßrichtung findet sich beim „Frauenbündnis Südbaden“ aus dem Raum Lörrach (Baden-Württemberg), das ebenfalls ihre flüchtlingsfeindliche Agitation mit vermeintlichen und realen Sexualdelikten durch Flüchtlinge verargumentiert. Deren Chefin Lucia Wacker ist als Rednerin für den 3. Oktober vorgesehen. Abgerundet wird die Liste mit Dorothea Hohner aus Bayern, die bereits in der Vergangenheit bei Pegida München und Pegida Augsburg sprach.

Mobilisierung im Netz und auf der Straße

Für den diesjährigen 3. Oktober wird bereits seit Januar 2018 aufgerufen. Trotz intensiver, monatelanger Mobilisierung in sozialen Netzwerken waren bis Mitte August nur rund 600 Zusagen bei der Facebook-Veranstaltung zu verzeichnen. Mittlerweile (Stand 02.10.) sind die Zahlen auf etwas über 1.500 angestiegen (zudem über 4000 „Interessierte“). Der recht sprunghafte Anstieg dürfte auf eine intensivierte Werbung in den Social Media Kanälen der Rechtsextremen sowie der aktiven Mobilisierung in Chemnitz durch Kay Hönicke zurückzuführen sein. Bereits zuvor haben WfD-Aktive gezielt flüchtlingsfeindliche Versammlungen, wie etwa die Aufmärsche von „Zukunft Heimat“ in Cottbus aufgesucht, um für den „Tag der Nation“ zu werben. Allerdings sind die Interessensbekundungen bei Facebook in diesem Spektrum nur ein schwacher Indikator für die realen Teilnehmer_innenzahlen am Veranstaltungstag. Das haben die vergangenen „Merkel muss weg“-Versammlungen mehrfach bewiesen. Sie belegen höchstens den Grad der Verbreitung der Veranstaltung in den sozialen Medien.

Ausgehend von vergangenen Versammlungen von WfD dürften sich die für den 3. Oktober zu erwartenden Teilnehmenden aus demselben Personenspektrum zusammensetzen wie bei den bisherigen „Merkel muss weg“-Aufmärschen: organisierte Rechtsextreme aus Kameradschaften, NPD, der Partei „Der III. Weg“, der „Identitären Bewegung“, Personen aus dem Reichsbürger-Spektrum, Fußball-affine Rechte und Hooligans, Mitglieder der „Patriotischen Plattform“ der AfD, Anhänger_innen rechter Splittergruppen und islam- sowie flüchtlingsfeindlicher Initiativen. Der Bundesorganisationsleiter der NPD, Sebastian Schmidtke ruft zur Teilnahme auf. Die ohnehin hohe Aggressivität der Teilnehmenden wird angesichts der flüchtlingsfeindlichen Stimmung wie in Chemnitz oder Köthen noch größer sein.

Der überraschende Mobilisierungserfolg von WfD im März 2016 resultierte aus der damaligen flüchtlingsfeindlichen Stimmung und der Ablehnung von Merkels Flüchtlingspolitik, die sich in dem Slogan „Merkel muss weg“ auf eine Formel bringen ließ. Die Teilnehmenden störten sich nicht an den unbekannten Organisatoren. Allein das Motto traf in diesem Milieu den Nerv der Zeit. Unabhängig vom konkreten Anlass des bevorstehenden Aufmarsches hat sich inzwischen ein Milieu herauskristallisiert, das sich konstant zu flüchtlingsfeindlichen oder rechtsextremen Versammlungen nach Berlin mobilisieren lässt. Insofern muss auch diesmal mindestens mit einer dreistelligen Anzahl an Teilnehmenden gerechnet werden.

Die Mobilisierungsbemühungen der Rechtsextremen nach Berlin werden allerdings durch mehrere Konkurrenzveranstaltungen im Bundesgebiet untergraben. So ruft PEGIDA aus Dresden am 3. Oktober zu einer Versammlung in Nürnberg auf, der rechtsextreme Zusammenschluss „Zukunft Heimat“ mobilisiert nach Cottbus zu einer Kundgebung und anschließendem Straßenfest. AfD-Verbände planen zudem Veranstaltungen in Dresden und Mödlareuth (Bayern). Rechtsextreme, die unter dem Label „Abakus News“ agieren, rufen zu einer Kundgebung in Leverkusen auf. Vor allem die Veranstaltungen in Sachsen und Brandenburg dürften die Mobilisierung nach Berlin schwächen, da in der Vergangenheit viele Teilnehmende der WfD-Versammlungen gerade aus diesen Regionen erschienen waren.

Alle Informationen zu den geplanten Gegenprotesten finden Sie bei unserem Partnerprojekt „Berlin gegen Nazis“.

 

[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/marsch-durch-berlin-mitte-demo-der-rechtsextremen-endet-friedlich/13312192.html

[2] https://rechtsaussen.berlin/2017/09/verflixte-7-mal-die-merkel-muss-weg-protestreihe-findet-vorerst-ihr-ende/

[3] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1043754.lautstarker-protest-gegen-rechtsextremen-aufmarsch-in-berlin.html

[4] https://www.moz.de/landkreise/oder-spree/frankfurt-oder/artikel9/dg/0/1/1593440/

[5] http://www.belltower.news/artikel/die-wichtigsten-player-rund-um-die-rechtsextremen-aufm%C3%A4rsche-chemnitz-14205

[6] http://jfda.de/blog/2016/05/10/rechtsextreme-marschieren-in-berlin/

 

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