Die kürzlich bekanntgewordenen Planungen zur Unterbringung von mehreren Hundert Asylsuchenden in Wohncontainern auf einem Gebiet an der Marzahner Schönagelstraße riefen bei der BVV-Sitzung am 23. Oktober 2014 zahlreiche organisierte und unorganisierte Rechtsextreme sowie Anwohner_innen auf den Plan. Dank der Präsenz zahlreicher demokratischer Besucher_innen, der Polizei und einer bestimmt auftretenden Sitzungsleitung hielten sich die Störungen jedoch in Grenzen.
Bereits beim Betreten des Sitzungsgebäudes waren zahlreiche Polizist_innen in Zivil und Uni-form sowie eine siebenköpfige Gruppe von Rechtsextremen wahrzunehmen, die sich mit einer Berlin-Fahne und einem Pappschild mit der Parole „Nein zu dem Asyl-Container […]“ vor dem Freizeitforum Marzahn postiert hatte. Es handelte sich zum Teil um Personen aus dem Berliner Landesverband der relativ neuen rechtsextremen Partei „Die Rechte“. Dieser Verband fungiert als Nachfolgeorganisation der 2009 vom Innensenator verbotenen neonazistischen Kameradschaft „Frontbann 24“. Außerdem nahmen an der von „Die Rechte Berlin“ auf ihrer Facebook-Seite als „Mahnwache“ titulierten Versammlung örtliche Rechtsextreme teil, die seit Ende 2013 unter der Bezeichnung „Bürgerbewegung Hellersdorf“ auftreten.
Zu Beginn hielten sich im Sitzungssaal 40 bis 50 Personen auf, die der Flüchtlingsunterbringung ablehnend gegenüber standen. Unter ihnen befand sich eine Gruppe von etwa 15 mehr oder weniger jungen Männern, die dem äußeren Anschein nach einem rechtsextrem orientier-ten Milieu ohne organisatorische Bindung angehörten. Diese Gruppe nahm eine der vier im Saal vorhandenen Tribünen ein. Auf einer anderen Tribüne stellten sich wenig später die organisierten Rechtsextremen auf. Beide Personen-Ansammlungen störten die vor dem Beginn der eigentlichen Sitzung anberaumte Feierstunde der BVV zum Gedenken an den Fall der Berliner Mauer und insbesondere die darin enthaltenen musikalischen Beiträge durch Gespräche und Raunen, was zu einer Rüge durch die BVV-Vorsteherin Kathrin Bernikas führte. Auch aufgrund der erhöhten Lage der Tribünen erzeugten die Rechtsextremen einen Raum greifenden und bedrohlichen Eindruck.
Dieser wurde noch dadurch gesteigert, dass Rechtsextreme von „Die Rechte“ und selbsternannter „Bürgerbewegung“ mit ihren Mobiltelefonen zahlreiche Bildaufnahmen machten, vor allem von den ebenfalls zahlreich im Zuschauerraum anwesenden, vorwiegend jüngeren Leuten, die offen-sichtlich als Unterstützer_innen der Flüchtlinge und der demokratischen Parteien erschienen waren. Ein Bild wurde nachher auf der Facebook-Seite der „Bürgerbewegung“ veröffentlicht. Da Bild- und Tonaufnahmen ohne vorherige Genehmigung in der BVV untersagt sind, sprach die Vorsteherin zwei Ermahnungen aus und drohte für den Wiederholungsfall eine Unterbrechung der Sitzung und die Räumung des Saals an. Der verspätet zur Sitzung kommende NPD-Verordnete Matthias Wichmann wurde von den Rechtsextremen freudig begrüßt, begab sich zum Handschlag zu ihnen auf die Tribüne und unterhielt sich dort angeregt, wobei er auf verschiedene demokratische Besucher_innen und Kommunalpolitiker_innen deutete.
Nach dem Ende der Feierstunde begann die eigentliche BVV-Sitzung mit der „Bürgerfragestunde“, bei der Einwohner_innen des Bezirks den Mitgliedern des Bezirksamts vorher eingereichte Fragen stellen können, die nach Möglichkeit sofort beantwortet werden. Eine dieser Fragen bezog sich auf die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in Wohncontainern. Der Fragesteller wollte noch weitere, vorher nicht eingereichte Fragen stellen, doch dies wurde von der BVV-Vorsteherin nicht zugelassen. Er nutzte dann die Gelegenheit, dem Bezirksbürgermeister eine Protest-Resolution mit angeblich 450 Unterschriften aus der Nachbarschaft der zukünftigen Flüchtlingsunterkunft zu übergeben. Die von ihm vorgetragene Begründung des Protests lautete, dass das Bezirksamt zu lange brauche, um die Anwohner_innen zu kontaktieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. In seiner Beantwortung der Bürgerfrage und seinem bald darauf folgenden obligatorischen Bericht ging Bezirksbürgermeister Stefan Komoß ausführlich auf die Problematik ein und wendete sich persönlich an den Fragesteller. Komoß bat um Nachsicht für die Kurzfristigkeit der Information, die auch ihm erst seit einigen Tagen vorläge. Er kündigte umfassende Angebote zur Information der Bürger_innen an, darunter Veranstaltungen, Sprechstunden zur Bürger_innenberatung vor Ort, Rundschreiben und eine laufend aktualisierte Internetseite.
Diese Auskünfte entgingen jedoch den Rechtsextremen und auch zahlreichen anderen Besucher_innen der Sitzung, die offensichtlich nur auf die Bürgerfrage zur Flüchtlingsunterkunft gewartet hatten und danach abzogen. Im späteren Verlauf der Sitzung verabschiedeten die Verordneten aller demokratischen Parteien noch eine interfraktionelle Resolution mit dem Titel „Hilfe für Menschen in Not“, in der es heißt:
„Wir nehmen Skepsis und Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern ernst und wollen helfen diese abzubauen. Durch einen sachlichen und offenen Dialog kann dies gelingen. […] Die geflüch-teten Menschen, die in unseren Bezirk kommen, sind kein Anlass für Angst, sondern Anlass zur Hilfe.“
Auch zukünftig werden Rechtsextreme die Debatte um Flüchtlingsunterkünfte zum Anlass nehmen, um Sitzungen kommunaler Gremien zu besuchen und dort nach Möglichkeit ihre rassistische Mobilisierung gegen Geflüchtete voranzutreiben. Derartige Auftritte können demokratische Kommunalpolitiker_innen und Besucher_innen verunsichern und einschüchtern. Die Erfahrungen mit solchen rechtsextremen „Gästen“ zeigen, dass es ratsam ist, die Atmosphäre der Sitzungen durch möglichst viele anwesende Demokrat_innen und deren geschlossenes Auftreten sowie die Präsenz von Sicherheitskräften wie Polizei und gegebenenfalls Wachschutz positiv zu beeinflussen. Besondere Bedeutung kommt der Sitzungsleitung zu, die rechtsextreme Störungen und Regelverstöße möglichst frühzeitig und konsequent ahnden sollte.