Rassistisch gefärbte „Bürgerfragen“ in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg

Zum wiederholten Male wurden „Bürgerfragestunden“ bei BVV-Sitzungen als Forum für rassistische Agitation genutzt.

Lichtenberg

In der Sitzung der Lichtenberger BVV am 13. November 2014 trat ein Mann als Sprecher von „Falkenberger Bürgern“ auf. In Falkenberg, einem Viertel am Stadtrand von Berlin, soll in den kommenden Monaten eine Flüchtlingsunterkunft mit Wohncontainern entstehen. Statt sachlicher Einzelfragen zum Thema, wie sie für die „Bürgerfragestunden“ vorgesehen sind, präsentierte der Mann allerdings einen überlangen, mit ideologisierten Monologen durchsetzten Fragenkatalog.

So unterstellte er einem Großteil der Flüchtlinge, nur aus wirtschaftlichen Erwägungen nach Deutschland gekommen zu sein, und suggerierte, dass Flüchtlingsunterkünfte automatisch zu gesteigerter Kriminalität im Umfeld und zu ethnischen Auseinandersetzungen unter verschiedenen Gruppen von Asylsuchenden führen würden. Seine Ausführungen gipfelten in den Worten: „Irgendwann ist das Boot voll!“ und verstiegen sich in die Sphäre der Weltpolitik. Nach längerer Zeit unterbrach BVV-Vorsteher Rainer Bosse den Redefluss des Fragestellers.

Bezirksbürgermeister Andreas Geisel unterzog sich nicht der unlösbaren Aufgabe, auf alle Fragen detailliert einzugehen, sondern nutzte die Gelegenheit zu einer politischen Positionsbestimmung. Er verwies auf die aus der Geschichte der Bundesrepublik erwachsene Verpflichtung, Verfolgten ebenso Asyl zu gewähren, wie es viele Deutsche in den Jahren der Nazidiktatur 1933-1945 benötigten, und auf den Wohlstand Deutschlands, der es zur Hilfe befähigt. Gegen die rassistisch aufgeladenen Ängste vor Kriminalität und Gewalt setzte er die realen Erfahrungen von Anwohner_innen und Polizei mit Flüchtlingsheimen, die zu derlei Befürchtungen keinen Anlass geben. Schließlich warnte Geisel vor den Instrumentalisierungsversuchen durch Rechtsextreme und Rechtspopulisten und rief zu praktischer Hilfe für die Geflüchteten auf: „Ich hoffe einfach mal auf die Solidarität in dieser Stadt!“

Im späteren Verlauf der Sitzung wurde eine interfraktionelle Entschließung aller demokratischen Parteien als Dringlichkeitsantrag gegen die Stimme der NPD-Verordneten Manuela Tönhardt angenommen. Der von BVV-Vorsteher Bosse verlesene Text trug den Titel „Unterbringung von Flüchtlingen in Lichtenberg sichern – Flüchtlinge willkommen heißen“ und verband die solidarische Haltung gegenüber geflüchteten Menschen mit deutlicher Kritik an der Asylpolitik des Berliner Senats und der Forderung nach besserer, menschenwürdiger Unterbringung von Asylbewerber_innen.

Marzahn-Hellersdorf

Eine Woche später, bei der BVV-Sitzung am 20. November 2014 in Marzahn-Hellersdorf, hatte ein Bürger die Frage schriftlich eingereicht, ob das Bezirksamt tatsächlich gedenke, in einem Gebäude in der Etkar-André-Straße eine große Sammelunterkunft für Flüchtlinge einzurichten, statt wie ursprünglich geplant ein neues Ärztehaus zu eröffnen. Entsprechende Gerüchte halten sich seit längerem im Bezirk und werden von rechtsextremer Seite geschürt. Ganz im Stile der rechtsextremen Ethnisierung sozialer Probleme konstruierte der eingereichte Wortlaut der Frage einen Gegensatz zwischen der Hilfe für Flüchtlinge und der medizinischen Versorgung der Marzahn-Hellersdorfer Bevölkerung. An Stelle des abwesenden Urhebers stellte der NPD-Verordnete Matthias Wichmann die Frage in der Sitzung – ein weiterer Beleg dafür, wie organisierte Rechtsextreme die diffusen Vorbehalte eines Teils der Bevölkerung im Bezirk aufzugreifen versuchen. Die zuständige Stadträtin Dagmar Pohle stellte in ihrer Antwort kurz angebunden klar, dass die Gerüchte ohne Grundlage sind und das Bezirksamt nach wie vor ein medizinisches Zentrum in dem fraglichen Gebäude plant.

Das Einbringen rechtsextremer und rassistischer Inhalte in die „Bürgerfragestunde“ stellt die demokratische Kommunalpolitik vor die Herausforderung, sich einerseits klar zu positionieren und andererseits den vorgebrachten Anliegen Raum zu gehen und auf die Bürger_innen ausreichend einzugehen. Die „Bürgerfragestunde“ ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation zwischen kommunaler Verwaltung und interessierten Einwohner_innen. Es bleibt zu hoffen, dass auch Akteure der lokalen demokratischen Zivilgesellschaft dieses Medium stärker für sich entdecken.

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